
Ein Ort des Neuanfangs
Ein Leben ohne Sucht: Auf dem Röthof in Schmalkalden wird dieser Neuanfang möglich. Was unterscheidet dieses Therapiezentrum der Immanuel Diakonie Südthüringen von anderen?
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Unterhalb der 479 Meter hohen Rötkuppe, einem Berg nördlich der Fachwerk- und Hochschulstadt Schmalkalden, liegt der Röthof, ein Therapiezentrum der Immanuel Diakonie Südthüringen. Eingebettet in eine sanfte Landschaft aus Wiesen und Wäldern ermöglicht das ehemalige Bauerngut Menschen mit Suchterkrankungen einen Neuanfang. Hierher kommen Männer und Frauen, die an einem Wendepunkt in ihrem Leben stehen. Ihre Vergangenheit – geprägt von Alkohol, Drogen, schlimmen privaten Schicksalen, verpassten und verlorenen Chancen. Doch hier, über den Dächern der Stadt, zählt nicht vordergründig, was war, sondern was kommt. Ein möglichst zufriedenes, eigenverantwortliches und suchtmittelfreies Leben.
Diana Wolff ist die Leiterin des Therapiezentrums. 2008 hat die Sozialtherapeutin diese Funktion übernommen, nachdem sie fünf Jahre in der ambulanten Suchtberatung tätig war. Unterstützt wird sie von elf engagierten Mitarbeitern verschiedener Qualifikationen und Kompetenzen.
Das Spezielle am „Pippi Langstrumpf Land“, wie die sympathische Schmalkalderin den Röthof nennt, ist die besondere Wohnform mit dem sozialtherapeutischen Wohnheim (zwölf Plätze), der Außenwohngruppe (sechs Plätze), dem Ambulant Betreute Wohnen für Menschen mit Suchterkrankungen direkt auf dem Gut, aber auch im Stadtgebiet. Dieses Markenzeichen hat den Ort, an dem Mensch, Tier und Natur in Einklang leben, bekannt und anziehend gemacht. Die Plätze sind bundesweit begehrt; Angehörige von Suchtkranken rufen an und bitten um Unterstützung, berichtet Wolff.
Projekte mit und für die Bewohner
Der Alltag ist geprägt von klarer Struktur und sinnstiftender Arbeit. Das etwa 42 Hektar große landwirtschaftliche Gut wird im Rahmen der Arbeitstherapie gemeinsam ökologisch bewirtschaftet – seit nunmehr fast 30 Jahren. Die Arbeit mit Tieren steht im Vordergrund: Pferde, Hühner, Hasen, Schafe, Ziegen, Gänse, Esel, Hunde und Katzen werden von den Bewohnern täglich versorgt. Aber auch handwerkliches Geschick ist gefragt, wenn beispielsweise die Gebäude und Stallungen instand gehalten werden müssen. „Die Mitwirkung und Mitbestimmung der Klienten ist für uns dabei von zentraler Bedeutung“, betont Diana Wolff. So wird der Therapieplan für die kommende Woche gemeinsam mit den Bewohnern erarbeitet. Sie organisieren selbstständig Vertretungen bei Arztterminen u. ä. oder organisieren Unterstützung. Denn Versorgung von Tieren bedeutet Arbeit an sieben Tagen die Woche.
Neben ganz praktischen Fähigkeiten trainieren die suchtkranken Menschen, die oft auch chronisch oder psychosomatisch beeinträchtigt sind, kognitive und motorische Fähigkeiten. Das geschieht in der Ergotherapie. Hier können sie mit den unterschiedlichsten Naturmaterialien wie Holz, Ton, Weiden, Wolle, Leder arbeiten. Besonders wichtig ist dem Team um Diana Wolff, gemeinsam mit den Bewohnern sinnvolle Projekte zu entwickeln. In denen sie sich als kompetente, handlungsfähige Menschen wahrnehmen, Verantwortung übernehmen und soziale Bindungen aufbauen.
Ein Projekt ist das „Holz-Werk“. Aus einem ehemaligen, lange leer stehenden Wirtschaftsgebäude entstand, Hand in Hand, eine kleine, aber feine Holzwerkstatt. Ein Verkaufsschlager auf ausgewählten Märkten sind kleine Ziehpferdchen.
In die andere Hälfte des Hauses zog zwei Jahre später das Back-Werk ein. Dazu wurde ein alter Backofen wieder gängig gemacht. Mit ihrem selbst gebackenen Rahmkichen haben sich Bewohner über die Grenzen des Röthofes hinaus einen Namen gemacht. Jeden Sonntagnachmittag pilgern Menschen aus Schmalkalden und Umgebung ins Hofcafé, nur um ein Kuchenstück zu ergattern. Das „Honig-Werk“ entstand 2019. Hier versuchen sich die zumeist aus der Region stammenden Suchtkranken als Imker, sie kümmern sich um die Insekten und verarbeiten den Honig. Geschätzt 200 000 Bienen – 50 000 Bienen pro Stock – surren über das Gelände des Röthofs und bringen den gesammelten Nektar und Pollen in die Stöcke. Unterstützt werden die Bewohner von Steffen Ilgen, der als kompetenter Imkerpate zur Seite steht. „Das Honig-Werk ist unser Beitrag gegen das weltweite Bienensterben“, sagt Diana Wolff. Denn der ehemalige Bauernhof wird ohne den Einsatz von Pestiziden bewirtschaftet und dient der Futtergewinnung für die Tiere. Und dann sind da noch die Bewohner, die auf dem wöchentlichen Mittwochsmarkt in Schmalkalden frische Eier verkaufen. Rund 300 Hühner gackern auf dem Röthof und legen täglich im Durchschnitt 300 Eier.
Das Arbeiten mit den Händen, das Versorgen der Tiere, das Kochen und Backen – all das bringt die Bewohner zurück ins Leben. Sie erfahren, dass sie gebraucht werden und dass ihre Arbeit einen Wert hat, sagt Wolff. Langsam lernen sie, ihren Tag ohne Alkohol oder Drogen zu planen, Routinen zu entwickeln und sich wieder auf das Leben einzulassen.
Ein Zuhause auf Zeit
Neben der Arbeits- und Ergotherapie spielt seit 2003 die Reittherapie als therapeutisch unterstützende Maßnahme eine besondere Rolle auf dem Röthof. Die Tiere, sechs stehen im eigenen Stall, spiegeln Emotionen wider, sie nehmen Menschen so an, wie sie sind – ohne Vorurteile, ohne Erwartungen. Wer sich auf die Tiere einlässt, spürt Vertrauen und Verbundenheit. Für viele Bewohner ist das eine völlig neue Erfahrung, die ihnen hilft, sich selbst wieder zu fühlen und alte Wunden heilen zu lassen, weiß Wolff. „Wir leisten ganz viel Beziehungsarbeit.“ Die 2011 eingeweihten Reithalle eröffnete viele Möglichkeiten – und ein neues Projekt: Ponykids, ein Angebot für Kinder im Umgang mit Tieren. Wie bei allen Bewohnerprojekten auf dem Röthof sind hier mehrere Klienten des Therapiezentrums eingebunden. Sie haben einen Vorbereitungskurs absolviert, um den Fünf- bis Zehnjährigen zu helfen, erste Erfahrungen im Umgang mit den beiden Shetlandponys Romy und Jerk sowie den Eseln Susi und Tina zu sammeln. Die Mädchen und Jungen erfahren, was alles zur Pflege und Versorgung der Tiere dazugehört, und sie schulen gleichzeitig im Umgang mit ihnen ihre motorischen und sozialen Fähigkeiten. Mit Reittherapeutin Silke Kuhn steht ihnen eine erfahrene Ausbilderin zur Seite.
Susann Schönwald, Südthüringer Zeitung
Foto: Michael Bauroth