
Von Sucht, Verlust und Neuanfang
Detlef ist Vater, Künstler, Musiker – und war drogen- und alkoholsüchtig. Auf dem Röthof in Schmalkalden will er zurück ins Leben finden.
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Detlef Elfert ist 1,70 Meter groß. Seine grauen, halblangen Haare hat er unter einer schwarzen Wollmütze versteckt. Ein Schutzschild gegen das Draußen? Gegen die Erinnerungen, die ihn immer dann übermannen, wenn er gerade nicht zurückdenken möchte? Doch wenn der 65-Jährige zu erzählen beginnt, bricht es aus ihm heraus. Dann redet er – über sein Leben, seine Familie und die Kunst, über seine Verluste, die Sucht – und über seine Wünsche. Wenn die Vergangenheit besonders schwer wird, muss „Elfchen“, wie er genannt wird, kurz innehalten, tief durchatmen und die aufsteigenden Tränen wegzwinkern. Dann hebt er den Blick wieder – und erzählt weiter.
Eine behütete Kindheit
Geboren und aufgewachsen ist Detlef in Neuhaus am Rennweg. Bei seiner Mutter und den Großeltern, gemeinsam mit zwei Stiefgeschwistern. Er erinnert sich gern an eine Kindheit voller Wärme und Geborgenheit, inmitten der Natur. Im Frühling und Sommer ging es in den Wald, im Winter auf die Ski. „Wir hatten nicht viel, aber wir hatten alles.“ Von seiner verstorbenen Mutter, die ihre Kinder allein durchbringen musste, spricht er voller Hochachtung wie von seinem Opa, „mein Ersatzpapa“. Überhaupt: Familie bedeutet für den Mitte Sechziger Geborgenheit, Sicherheit, emotionale Unterstützung. Mit Verlusten kann er schwer umgehen.
Früh entdeckt Detlef seine Liebe zu Kunst und Malerei. Der Pinsel war irgendwie immer dabei. Am liebsten habe er Kaugummibilder abgemalt, erzählt er. Die Oma hatte diese immer von ihren Besuchen aus dem Westen mitgebracht. Handwerklich hingegen war der Junge nicht sonderlich begabt. Gib ihm keinen Bohrer in die Hand, sonst dreht er sich mit, soll die Mutter einmal gescherzt haben.
Sein erstes Porträt: Lenin, für die Wandzeitung im Hort.
Die Traumfrau gefunden
Der Neuhäuser macht seine Leidenschaft zum Beruf. Er wird Porzellanmaler, holt in Meißen sein Fachabitur nach und studiert an der renommierten und traditionsreichen Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle. Hier belegt er das Fachgebiet Restaurierung. Einer seiner Mentoren ist Werner Tübke, einer der bedeutendsten Maler und Graphiker der DDR. Mit ihm arbeitet Detlef am berühmten Bauernkriegspanorama in Bad Frankenhausen. Ein Bilddom der Superlative. 14 Meter hoch und 123 Meter im Umfang. Über 3000 Figuren gibt es zu entdecken in 75 Schlüsselszenen. Stolz schwingt in der Stimme mit, wenn der 65-Jährige über diese Zeit redet.
In Halle lernt der Thüringer auch seine Traumfrau und die Mutter seiner vier Kinder kennen, zwei Zwillingspärchen. Ihr Fachgebiet war Keramik- und Glasdesign. Die jungen Leute ziehen nach Neuhaus, zu Detlefs Eltern. Kurz vor seinem 28. Geburtstag wird der junge Familienvater für anderthalb Jahre zur Nationalen Volksarmee (NVA) eingezogen. Stationiert in Cottbus, im Panzerregiment. Doch die scheinbar heile Welt ist trügerisch. Die Fassade von Ordnung und Normalität bröckelt.
Der Wendepunkt und Abstieg
Nach der Wende 1989 arbeitet Detlef als Restaurator in der von seinem Freund gegründeten Firma. Er ist viel unterwegs, im In- und Ausland wie beispielsweise in Ungarn, wo er römisch-katholische Kirchen restauriert, Fresken und Triptycha. In dieser Zeit hat der langsame Abstieg begonnen. Alkohol, erste Drogen in Frankfurt/Main. Als seine Lebensgefährtin 1992 bei einem Unfall stirbt, stürzt er ab. Ein Betrunkener hatte das Auto der vierfachen Mutter gerammt. Um die zwei Mädchen und zwei Jungen, alle noch schulpflichtig, kümmern sich die Großeltern.
Der Verlust seiner Traumfrau, die eine zentrale Rolle im Leben der Familie gespielt hat, hinterlässt bei Detlef eine Leere, die nicht zu füllen ist. Er versinkt im Sumpf von harten Drogen. Schnaps, Crack, Heroin. „Irgendwann wollte nicht mehr“, sagt der schlanke Mann und kämpft mit den Tränen. Er muss sich sammeln, bevor er weiter spricht: „Ich wollte mir den goldenen Schuss setzen.“ Zu diesem Zeitpunkt wog er bei einer Körpergröße von 1,70 Meter nur noch 43 Kilogramm. Dass er heute noch am Leben ist, verdankt er seinem Kumpel Thomas. Er sorgte dafür, dass sein Freund einen Entzug macht. Selbst schafft er es nicht, zwei Wochen später ist er tot.
Ein täglicher Kampf
Detlef kämpft, wird ins Methadonprogramm aufgenommen und macht einen Entzug. 14 Monate verbringt er in Bad Vilbel. Die Familie ist in dieser Zeit sein Halt. „Sie haben mich nie fallen lassen und immer unterstützt.“ Was ihn immer wieder aufbaut, ist die Kunst – und die Musik. Schon zu DDR-Zeiten spielte er in einer Band Schlagzeug und Mundharmonika, später, als er in Weimar lebte, machte er mit „Herakles“ Musik. „Sechs Mundis hab’ ich noch zu Hause“, sagt er.
Den „Drogenscheiß“, wie Detlef sagt, kann er irgendwann ablegen, die „Sauferei“ nicht. Der Alkohol bleibt sein Schatten. Harte Sachen sind es, die der 65-Jährige in sich hineinschüttet. Schnaps. Nicht nur eine Flasche. „Ich bin da wahrlich nicht stolz drauf“, sagt er und senkt den Blick. Diesmal ist es sein Hund Milo, der ihn rettet, als er volltrunken nach einem Krampfanfall fast erstickt wäre. Der Vierbeiner hatte den Nachbarn und dieser den Rettungswagen alarmiert. „Danach hatte ich entschieden aufzuhören.“
Seine Betreuerin empfiehlt ihm, sich für einen Platz im Immanuel Therapiezentrum Röthof zu bewerben. Hoch verschuldet droht er, obdachlos zu werden. Das erste Gespräch mit Leiterin Diana Wolff habe ihn ermutigt, den Schritt zu gehen, erzählt er. „Die Chemie hat sofort gestimmt.“
Auch Milo, der als Welpe zu ihm gekommen war, hat seit dem 1. April 2024 auf dem Bauernhof hoch über den Dächern der Stadt Schmalkalden ein neues Zuhause gefunden. Der große schwarze Rüde hatte seiner damalige Freundin gehört, die wenig später an Krebs gestorben war. Heute ist er Detlefs treuester Begleiter und engster Freund. Ein Familienmitglied. Wenn er ihn ansieht, streichelt oder füttert, beginnen seine Augen zu leuchten. Jeden Tag streift der 65-Jährige mit dem Vierbeiner durch Wald und Flur. Hier trifft er auch Schmalkalder, die mit ihren Vierbeinern Gassi gehen, wie Hans Bätz, den Künstler und Maler.
Auf dem Röthof hat Detlef wieder ein Zuhause – und eine Aufgabe. Seine künstlerische Ader macht ihn dort zu einem echten Gewinn, besonders in der Ergotherapie. Er gestaltet, baut, malt – nicht nur für sich. Zurzeit bemalt er Insektenhotels mit filigranen Motiven. Und als Geschenk für die Leiterin des Röthofes, eine begeisterte David Bowie-Anhängerin, malt er ein detailreiches Porträt des Musikers und Gitarristen. „Sie hat sich riesig gefreut. Da bin ich schon stolz drauf“, sagt er – und das sieht man ihm an. „Ich bin halt Künstler. Ich muss was mit den Händen machen. Wenn ich male, bin ich ruhig.“
Er würde heute zwar am liebsten allein leben, weiß aber, dass er hier – auf dem Röthof – gerade gut aufgehoben ist. „Das Gefühl, gebraucht zu werden, ist mir ganz wichtig“, sagt Detlef. Das lenke von den trüben Gedanken ab. Er hat Rückfälle gehabt, ja. Aber die harten Drogen liegen hinter ihm. Und die Kunst, die ist immer noch da. Sie war nie weg.
Susann Schönewald, Südthüringer Zeitung
Foto: Michael Bauroth